Weihnachtslieder im Sommer

05.04.2020
Eine farbig gefasste Gipsfigur eines auf dem Boden sitzenden alten Mannes, der sich über seine Zither beugt.
Zither-Reinhold zum Anfassen: das Gipsmodell der Brunnenfigur von Wolfgang Dreysse

Die Stadt Halle hat einem beeinträchtigten Menschen ein Denkmal gesetzt. Es gilt dem dem Straßenmusiker Reinhold Lohse (1878–1964), genannt Zither-Reinhold. 2002 wurde in der Leipziger Straße der Zither-Reinhold-Brunnen des Bildhauers Wolfgang Dreysse eingeweiht.

Bei einem Schulausflug war der neunjährige Reinhold auf dem Eis der Passendorfer Teiche eingebrochen. Darauf hin erkrankte an Typhus. Nach seiner Genesung blieb er geistig beeinträchtigt.

Spätestens seit den 1930er Jahren galt Zither-Reinhold als hallesches Original. Er spielte und sang Schlager, Volks- und Kirchenlieder und trug auch im Sommer Weihnachtslieder vor. Von den Passanten erhielt er Geld, aber auch Kaffee und Zigaretten. Alkohol lehnte er rigoros ab. Im ersten Weltkrieg, als des Essen knapp wurde, versorgten ihn die Hallenser mit Kohlrübensuppe und Schnitten. Als 1952 seine Zither kaputt ging, schenkten im Mitarbeiter des HO-Kaufhauses ein neues Instrument zu Weihnachten.

Zither-Reinhold wird bis heute verehrt, wurde aber zu Lebzeiten auch verspottet und musste so manchen Streich über sich ergehen lassen. Zum Verbleib seines ersten Instrumentes gibt es zwei Varianten: Jugendliche sollen seinen Leierkasten in die Saale geworfen haben. Er selbst behauptete, dass Kinder Pferdeäpfel in das Instrument gesteckt hatten. Als Reinhold einmal von Jugendlichen Zigaretten erbettelt hatte, revanchierte er sich mit ein paar Späßen. Zum Gaudi der Jugendlichen rauchte er fünf Zigaretten auf einmal.

Durch die Presse ging im Dezember 1954 ein Bericht über eine Gerichtsverhandlung. Sie legte offen wie Zither-Reinhold von seiner Schwester ausgenutzt wurde. Nach seinem Tagwerk musste er bei ihr „im Handstand durch die Tür“. Sein über den Tag verdientes Geld hatte er bei ihr abzuliefern und finanzierte damit ihren luxeriösen Lebensstil.

Reinhold Lohse kam 1964 ums Leben. Er war am 5. November an Franckeplatz gegen einen Bus gelaufen und verstarb 11 Tage später. Zu seiner Beisetzung auf dem Gertraudenfriedhof kamen 250 Menschen. Sein Sarg wurde von Halloren getragen. Pfarrer Fink sagte in seiner Grabrede: „Er blieb ein ganzes Leben lang ein Kind, ein Kind mit reinem Herzen, das keine Falschheit und keinen Argwohn kannte“.

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