"Mein Autismus ist meine Stärke"

06.04.2020
Ausstellungstisch mit Portraitfoto, Objekt (Möwenfigur) unter einer Ayrylhaube, Tastobjekt und handgeschriebenes Heft.
Maria Schünemann im Interview

In Zeiten von Corona

Mit diesem Text möchte ich euch mitteilen, wie ich als Autistin die Situation mit dem Coronavirus empfinde. Es gibt neue Regeln, die es zu beachten gilt, viele Einschränkungen im öffentlichen Leben, an die wir uns gewöhnen müssen. Diese Einschränkungen mögen hart klingen, doch sie dienen dem Schutz der Menschen und der Verringerung einer Ansteckungsgefahr.

Vor drei Wochen sagte ich noch, dass ich so weiterleben werde wie bisher, aber das ist so nicht möglich. Damals dachte ich, dass diese Situation in einigen Wochen vorbei ist, aber nach einiger Zeit wurde mir bewusst, dass es noch länger so gehen wird. Mit der Zeit wurde ich immer unsicherer, ob ich zu Freunden gehen und sie zu mir einladen kann, auch bei einer einzelnen Person machte ich mir darüber sehr viele Gedanken, zumal ich mit Risikopatienten arbeite. Mittlerweile kommuniziere ich mit meinen Freunden per Telefon, Computer, Whatsapp usw. Meiner Meinung nach kann ich auch auf diese Weise für andere Menschen da und mit ihnen in Kontakt sein. Ich nutze diese Medien für private Gespräche und regelmäßige Treffen mit meinen Gruppen.

Ich mache die Erfahrung, dass mir diese Ruhe gut tut, einige Termine fallen nun weg, ich muss mir neue Strukturen erschaffen, es gelingt mir sehr gut. Ich finde immer etwas zu tun, zum Beispiel aufräumen, das Schreiben von Texten, das Filzen verschiedener Figuren und andere Aktivitäten.

Sollte es dazu kommen, dass ich in Quarantäne muss, muss ich mir um Gesellschaft keine Sorgen machen, ich habe sehr viele Kuscheltiere, die ich mir lebendig mit individuellen Charakteren vorstelle und dafür sorgen, dass mir nicht langweilig wird.

Trotz der vielen Einschränkungen durch das Coronavirus sollte ich die Schwierigkeiten, die mir aufgrund des Autismus im Alltag begegnen, im Blick behalten, zum Beispiel unbeholfene Motorik beim Anlegen eines Mundschutzes. Einen stark schützenden Mundschutz, den wir einmal zur Sicherheit tragen sollten, ging kaputt. Zum Glück löste sich dieses Problem von selbst, ich brauchte ihn nicht mehr.

Aufgrund meiner visuellen Reizfilterschwäche habe ich Schwierigkeiten, die vielen Menschen, Fahrrad - und Autofahrer im Blick zu haben und dementsprechend zu reagieren, vor allem in der Innenstadt und wenn draußen die Sonne scheint. Von der Sache her kann ich es sehr gut begreifen, dass der Sonnenschein sehr viele Menschen nach draußen lockt. Außerdem sind aufgrund der derzeitigen Situation sehr viele öffentliche Einrichtungen geschlossen, andere Möglichkeiten gibt es deshalb nicht. Doch für meine intensive Wahrnehmung ist das ein Problem, genauso wie das Fahren mit der Straßenbahn.

Die Regeln im Seniorenheim, wie Desinfektion, Tragen von Mundschutz und Einmalhandschuhen und das Messen der Körpertemperatur, die wir aufgrund der derzeitigen Situation einhalten müssen, finde ich sehr richtig und sinnvoll, weil wir mit Risikopatienten arbeiten. Ich sehe diese Notwendigkeit ein.

Ich bin aber auch froh, wenn das Leben wieder seinen gewohnten Gang geht, wenn ich mich wieder von Angesicht zu Angesicht mit meinen Freunden treffen, öffentliche Veranstaltungen besuchen und meine geplanten Reisen in Angriff nehmen kann, zum Beispiel im Sommer an die Ostsee (wenn es denn klappt).

In dieser schwierigen Situation gilt es stark zu sein und durchzuhalten.

Halle, 30.3.2020.

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